Mein Weg ins Kloster

Sr. Helene Weggemann
20.06.1927
(Sr. Helene erzählt eine eindrucksvolle, bemerkenswerte Vorgeschichte, von der vor allem die jüngere Generation wenig weiss. Sie will damit verkünden, dass der Glaube an die Führung Gottes und das Vertrauen zu ihm uns nie im Stich lassen, auch nicht in ausweglosen Situationen. Sr. Armina)
Trotz meiner lieben Mutter, die ich nur krank kannte, durfte ich eine frohe Kindheit erleben. Vor allem in den fünf ersten Lebensjahren nahm sich mein Grossvater liebevoll meiner an. Im Kindergarten und in den ersten Schuljahren gab es viele Kameradinnen, die für Abwechslung sorgten. Mit der zunehmend schweren Krankheit der Mutter, die wir daheim mit Hilfen pflegten, begannen auch für mich die Sorgen. Leider hat unsere liebe Mama, als ich noch nicht 13 Jahre alt war, uns für immer verlassen.
Mama hat ihre Krankheit vorbildlich getragen. Kurz vor ihrem Tode sagte sie uns: „Vom Himmel aus kann ich mehr für euch tun, als auf dieser Welt!“ Damals erfuhr ich bereits, dass der Glaube die tragende Kraft ihres Lebens war. Das war das kostbarste Erbe, das mir meine Mutter schenken konnte.Drei Monate nach Mamas Tod, musste Papa 1940 in den Krieg einrücken. Meine jüngere Schwester und ich waren bei der Grossmutter. Nach der Grundschule durfte ich in Bregenz eine 3‑jährige Frauenberufsschule besuchen. Während dieser Zeit wurde der Krieg immer härter. Die Fronten zogen sich zurück. Uns bewegte die Angst: Wenn wir nur nicht den Russen in die Hände fallen! Da bereits eine Reihe meiner 18-jährigen Mitschülerinnen zum Kriegsdienst eingezogen wurden, dachte ich, ich bin bei den nächsten. Aus diesem Grunde nahm ich neben dem Studium Abendkurse beim Roten Kreuz.
Wie geahnt, erhielt ich in den Weihnachtsferien 1944/45 eine Einberufung zum Militär und sollte binnen einer Woche zur Flakabwehr in Norddeutschland antreten. Ich meldete dies meiner Vorgesetzten vom Roten Kreuz. Sie verhinderte es und hiess mich am nächsten Tag im Stadtspital Bregenz den Dienst antreten. Sie meldete mich bereits an einem kriegswichtigen Posten. Ich war damals 17 ½ Jahre alt. Die Kriegsfolgen waren auch hier sehr stark zu spüren. Wir waren sehr wenig Personal. Für heutige Verhältnisse kaum vorstellbar. Auf jedem Stock zwei Ordensschwestern und zwei Hilfskräfte für 30 und mehr Patienten. Zeitweise lagen noch Verwundete auf Gängen und Treppen. Es wurden nur Notfälle aufgenommen. Dann kam ein Flüchtlingstransport mit Kranken. Dann haben englische Tiefflieger am hellen Vormittag auf die einheimische Bevölkerung, in den Strassen und am Bahnhof mit Maschinengewehren in einen stehenden Zug hineingeschossen. Es gab viele Tote und Verwundete.
Die Kriegsfront kam immer näher. In den Hotels von Bregenz lagen viele verwundete Soldaten. Die Dächer waren alle mit dem „Roten Kreuz“ gezeichnet. Es hiess: Bregenz ist Lazaretstadt und untersteht dem Roten Kreuz. Der Schweizer Konsul hatte dies ausgehandelt. Doch plötzlich am 30. April 1945, abends 22.00 Uhr, erhielten die Bevölkerung und wir im Spital, Mitteilung: „Bregenz wird vom Feind nicht als Lazaretstadt anerkannt. Nachts um 24.00 Uhr erfolgt ein Bombenangriff.“ „Rette, wer sich retten kann, in den grossen Bunker, einem grossen Tunnel am Berghang, nahe dem Spital!“ Ich sah, wie die Bevölkerung und viele verwundete einheimische Soldaten, soweit diese sich bewegen konnten, dem grossen Tunnel zuströmten.
Im Spital hatten wir bereits vor zwei Tagen die Kranken in den grossen Spitalkeller befördert. Dort lagen sie Matratze an Matratze. In der gefährlichen letzten Stunde vor dem Bombenangriff war es ganz still geworden. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Da hörten wir plötzlich über uns beten und singen. Über dem Spitalkeller lag die Kapelle. Die Ordensschwestern des Spitals waren nicht geflüchtet. Sie beteten. Das wirkte sehr beruhigend auf die Patienten. Ich dachte damals, das sei unverantwortlich, dass sie dort geblieben sind und sich nicht auch selber mehr in Sicherheit brachten. Heute denke ich anders!
Ich sass damals auf der Ecke einer Matratze zwischen den Patienten mit dem Arzt und einem Sanitäter. Da ich meine Tasche und etwas Papier bei mir hatte, schrieb ich einen Brief an meine Angehörigen, im Falle, dass ich sterben werde und jemand den Brief fände. In dieser lebensgefährlichen Situation hatte ich wohl Angst, aber mir kam das Wort Jesu in den Sinn: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan!“ Das gab mir, trotz allem, ein gutes Gefühl und ich dachte: Wenn ich im Dienste der Mitmenschen stehe, kann ich auch vor Gott bestehen. Diese Lebenserfahrung begleitet mich das Leben hindurch und macht mich innerlich froh! Nachts, um 24.00 Uhr, hörten wir dann die Bomben fallen. Die Innenstadt von Bregenz brannte lichterloh. Das Spital am Stadtrand aber war verschont geblieben. Die Bevölkerung im Bunker war mit dem Leben davongekommen.
Nach dem Krieg besuchte ich die Bäuerinnenschule in Schruns-Gauenstein, die von den Ilanzer Dominikanerinnen geleitet wurde. Wir Schülerinnen waren damals durchschnittlich zwischen 18–22 Jahren. Eine Schwester gab uns Unterricht in Lebenskunde. Diese Unterrichtsstunden waren prägend für uns und wohl die wertvollsten. Einmal bekamen wir die Aufgabe, einen Aufsatz zu schreiben zum Thema: „Wo finde ich das wahre Glück?“ Drei Wochen Zeit, Minimum drei Seiten! Zuerst war ich verärgert, über so ein persönliches Thema einen Aufsatz schreiben zu müssen. Es regte uns aber sicher zum Nachdenken an und diese Frage ist wohl die entscheidende Frage des Lebens geworden.
Ich wünschte mir eine grosse Liebe.
– Eine Liebe, die mir immer treu bleibt
– Eine Liebe, die mich nie enttäuscht
– Eine Liebe, die mir andere nicht zerstören können.
Kann ein Mensch diesen Wunsch erfüllen? Drei Jahre lang habe ich in der damaligen Nachkriegszeit bei den Ilanzer Schwestern in verschiedenen Aufgabenbereichen gearbeitet. Dabei lernte ich die Schwestern und ihre vielseitigen, sozialen Aufgabengebiete näher kennen. Die verschiedenen Praktiken waren im späteren Leben sehr nützlich für mich.
Mit 22 Jahren entschloss ich mich, in Ilanz um Aufnahme zu bitten und begann das Noviziat. Ich fand eine sehr erfüllende Lebensaufgabe im Dienste Gottes und der Mitmenschen, vor allem der Jugendlichen. Das Leben war nicht immer leicht, aber alle Führungen und Fügungen waren auf das Ziel hinführend, was man oft erst später erkennt. Heute, mit über 79 Jahren, darf ich sagen: Gott war mir immer zur Seite. Besonders jetzt im Alter fühle ich mich in Gott und in der Gemeinschaft geborgen; bin dankbar, glücklich und zufrieden.Glücklich ist, wer mit seinem Glück zufrieden ist.
Sr. Helene Weggemann
Ilanz, im Jahr der Berufung, 2016
- Sr. Agatha Strassmair
- Sr. Annemarie Müller
- Sr. Columba Stevens
- Sr. Erwina Flammer
- Sr. Euthymia Bigger
- Sr. Fides Lai
- Sr. Geresina Candinas
- Sr. Helene Weggemann
- Sr. Ida Fassbind
- Sr. Jacinta Fatima de Souza
- Sr. Johanna Lin Yüa Yin
- Sr. Kunigunde Heuvelmann
- Sr. Leni de Paula
- Sr. Madlen Büttler
- Sr. Ermelinde Maissen
- Sr. Armina Maissen
- Sr. Mathilde Müller
- Sr. Monika Chan
- Sr. Ulrica Flury