
Der Paradiesesbaum
„Und Gott der Herr liess aus dem Erdboden allerlei Bäume aufspriessen, lieblich zum Anschauen und gut zur Nahrung, den Lebensbaum mitten im Garten und auch den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.“ (Gen 2,9)
Am Anfang der Heilsgeschichte steht der Baum: grün, frisch, lebend, mit der köstlichen Frucht in der Mitte. Und doch ist dieser Baum nicht zur Nahrung des Menschen bestimmt, sondern als Aufforderung zur geistigen Entscheidung. Die grüne Fülle lockt, die glutrote Frucht betört. „Da sah die Frau, dass der Baum gut sei zum Essen und eine Lust zum Anschauen und begehrenswert, um weise zu werden. Sie nahm von seiner Frucht, ass und gab auch ihrem Manne neben ihr, und auch er ass.” (Gen 3,6)
Die Krisis ist nicht bestanden, und sofort beginnt die Macht der Schlange.
Aber gleichzeitig wird in diesem Baum der Erkenntnis, von dem die todbringende Schlange gleitet (in der Fensterordnung bildet der Schlangenleib die Fortsetzung des Baumstammes), der andere Baum sichtbar, der Baum der erfüllenden Wirklichkeit, für den jener des Paradieses nur Typus war: das Kreuz.
Es ist von tröstlicher Bedeutsamkeit, wenn die seit alters erkannte Beziehung vom Baum des Paradieses zum Holz des Kreuzes sichtbar wird auf der gegenüberliegenden Kirchenwand: das Licht bricht sich im Glas und wirft Farben und Linien des Baumes in deutlicher Kreuzesform auf die Mauer. Was die Präfation der Passionszeit zu verkünden hat, strahlt hier auf: „Du hast das Heil des Menschen auf das Holz des Kreuzes gegründet. Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben; der einst am Holze gesiegt hat, wurde auch am Holze besiegt.” Der Baum des Paradieses wird in seinem Reflex zum Baum des Kreuzes, und dieser wieder weist zurück auf den Ursprung, wie es eine Antiphon der Matutin am Fest Kreuzerhöhung ausdrückt: „Das Kreuz ist der verehrungswürdige Baum inmitten des Paradieses, an dem der Urheber unseres Heiles in seinem eigenen Tod den Tod aller besiegt hat.” Für den gefährdeten Menschen aber gilt nun: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der Paradiese Gottes ist.” (Apk 2,7)
Der sündige Adam hatte nicht überwunden und sich selbst zu essen gegeben. Der erlöste Adam empfängt die heilende Frucht vom Kreuzesbaume: der Erlöser selbst, in der Eucharistie. So meint es wohl die Communio am Fest Kreuzauffindung: „Die Frucht des Baumes hat uns verführt, der Sohn Gottes (das ist die Frucht des Kreuzesholzes) hat uns erlöst.” Diesen Zusammenhang erahnen wir in der Betrachtung des Fensters mit der blutroten Frucht im Mittelpunkt und der Strophe aus dem Vesperhymnus „Vexilla regis”: „Baum in Schönheit und Glanz, geschmückt mit dem Purpur des Königs.” Das erste Bild bereits trägt den Ansatz zu Leben, Tod und Erlösung in sich. Die Geschichte des Heils hat begonnen.

Die Schlange
„Die Schlange aber war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott der Herr gebildet hatte.“ (Gen 3,1)
Gleich zu Beginn der Geschichte der Menschheit, die nur Heilsgeschichte sein kann, schleicht sie sich ins Paradies, ins Heile, um zu verderben.
Sofort kündet sie ihre Präsenz an, die fortan unübersehbar bleibt. Das Fenster ist eines der grössten und ohne innere Nische: die Schlange ist da, aufdringlich, vordergründig, in den Kirchenraum hineinragend, ihre selbst hier noch beanspruchten Rechte demonstrierend. (Der Widerschein legt sich oft bedrohlich auf den Altar.) Diese Schlange des zweiten Fensters ist identisch mit jener des achten (Abstieg zur Hölle). Es ist der gleiche dunkle Schlangenleib, im zweiten noch lebendig gleissend, obwohl schon zu Boden gleitend, im achten fast unbeweglich, tief im Tode hausend, beinahe vergessen und deshalb umso gefährlicher. Tod und Schlange sind in einem Bild ausgedrückt, denn mit der Schlange tritt der Tod, der Feind des Lebens, erstmals in die Welt. Adam empfängt den Todesbiss, der nun auf alle Menschen übergeht (Röm 5,12), obwohl die Schlange das Gegenteil behauptet: „Keineswegs werdet ihr sterben!“ (Gen 3,4)
Aber selbst diese dunkelste Stunde der Menschheit (es ist das düsterste, kälteste Fenster der Kirche) trägt die Verheissung zu neuer Hoffnung in sich: „Da sprach Gott der Herr zur Schlange: ‚Weil du dies getan hast, sei verflucht… Feindschaft will ich stiften zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst nach seiner Ferse schnappen’.“ (Gen 3,14f) Das Fenster des Abstiegs zur Hölle wird den letzten Satz getreulich zum Ausdruck bringen: Jesu Fuss mit der Todeswunde auf dem Schlangenleib.

Der Regenbogen
Gott sprach: „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und euch stifte und zwischen jeglichem Lebewesen bei euch auf ewige Zeiten.
Wenn der Bogen in den Wolken steht, dann werde ich ihn ansehen, um des ewigen Bundes zu gedenken, der zwischen mir und allem Fleisch besteht, das auf Erden ist.“ Gen 9,12.16
Nach der Sintflut, die der Todesbiss der Schlange nach sich gezogen hat, zeigt sich Gott wieder in Huld allem Fleisch. Auch dieses letzte Fenster mit einem alttestamentlichen Heilsereignis weist über sich hinaus in den Neuen Bund. Der Bogen, das Zeichen des Bundes, leuchtet auf als Verheissung. Schon hier ereignet sich Epiphania Domini: die Herrlichkeit des Herrn erscheint. Und sie erscheint in der Fülle, die Regenbogenfarben enthalten das ganze Licht, nur gebrochen, um es uns, dem Fleische, fassbar zu machen. Vor dieser Buntheit kann der Mensch nur staunend beten: „Wie schön sind deine Strahlen!“ (Ich steh an deiner Krippe hier / Paul Gerhard) So kann in diesem Fenster auch das neutestamentliche, das weihnachtliche Ereignis der Erscheinung des Herrn mitgesehen werden.
Das Fenster steht im Osten; „im Aufgang“ erstrahlt die Herrlichkeit, wie es die Liturgie an Epiphanie immer wiederholt, und sie wird nicht nur in der Fensterscheibe in ihre bunte Pracht gebrochen, sondern sie greift in denselben Farben über auf die ganze Kirchendecke, in deren Mitte still der Stern leuchtet. Diese Zusammenhänge werden vollends deutlich, wenn am Fest der Erscheinung des Herrn die Sonne während des Gottesdienstes durch dieses Fenster bricht, um das Psalmwort wahrzumachen: „in deinem Lichte schauen wir das Licht“ Ps 36,10, d.h. nur im Himmelslicht erstrahlt die Farbenpracht des Fensters, oder: nur im Lichtglanz der Präsenz des erscheinenden Gottes erkennen wir solche Herrlichkeit.
Auch Lage und Form des Fensters meinen Epiphanie: Es ist ganz oben an der Decke und weist eine sich breit öffnende Nische auf. Die Herrlichkeit Gottes breitet sich aus und senkt sich auf unsere Niedrigkeit, was sowohl auf den Bogen nach der Sintflut wie auf die Menschwerdung verweist: „Alle Enden der Erde werden schauen Gottes Heil.“ (Weihnachtsantiphon) Der Bogen des Heiles reicht vom alten zum neuen Bund, von Aeon zu Aeon. In der Freude an der Schönheit dieses bunten Lichtes beten wir, dass der Herr uns zum unverhüllten Glanz seiner Herrlichkeit führe
(Oration an Epiphanie)

Die Menschwerdung
Die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes in der Zeit jedoch geschah in der Verborgenheit. Gott kommt in grosser Einfachheit, um der Emmanuel, der Gott-mit-uns zu sein. Er kommt in lieblicher Gestalt: als Kind. In der ersten Lesung der Weihnachtsmatutin (ls 9,6) heisst es sogar: „parvulus enim natus est – ein kleines Kind ist uns geboren.“
Wie jedes Kind zur Welt kommt, so will auch der Sohn Gottes Mensch werden. Das dritte Responsorium führt den Gedanken aus: „Vom Himmel stieg der wahre Gott, vom Vater gezeugt, ging in den Schoss der Jungfrau ein, damit er uns sichtbar erscheinen könne, bekleidet mit dem menschlichen Fleisch.“ (Dominikanische Liturgie)
Wie viel Entäusserung, ja Hilflosigkeit liegt nicht in dieser Ankunft! Es ist Gottes Sohn radikal ernst mit seiner Erniedrigung: den Kopf senkrecht unter den Füssen, so kommt er in die Welt. Obwohl bei der Menschwerdung auch die Herrlichkeit Gottes einen Augenblick lang sichtbar wird, so spricht doch der Engel sogleich das „Fürchtet euch nicht“. (Lk 2,9 f) Denn in seiner Geburt ist Gott uns gleich geworden, wie die Sequenz das ausdrückt: „Cedrus alta Libani conformatur hyssopo, valle nostra – Die hohe Libanonzeder hat sich dem Ysop unseres Tales angeglichen.“ (Dominikanische Liturgie)
Wir sollen also ohne Furcht zu ihm gehen, ihn sogar umfangen, empfangen. Das Bild deutet in der umgebenden Rundung zugleich den bergenden Mutterschoss wie die Gestalt der Hostie an. Gott liefert sich bis ins Letzte uns Menschen aus: in der Eucharistie ist er allen zur Verfügung. Die Geburt Christi aus dem Schoss der Jungfrau weist aber stets weiter auf die Geburt Gottes in unserem eigenen Herzen. Das Heilsereignis der Menschwerdung kann uns ohne diese Geburt nicht zum Heile werden.
Das meint Angelus Silesius in seinem bekannten Sinnspruch: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren“, und dasselbe Ereignis hat schon vorher Meister Eckhart oft beschrieben, wenn er davon spricht, dass der Vater seinen eingeborenen Sohn in unsere Seele gebäre, durch welche Geburt die Seele wieder in Gott geboren werde. Dieses Ereignis vollzieht sich aber nur in der Tiefe unseres Herzens, in unserem Seelengrund.

Die Fusswaschung
Mit der Menschwerdung hat die Erniedrigung des Herrn begonnen. Von jetzt an muss er, im Gehorsam gegen den Vater, unten durch.
Die folgenden Fenster verleihen in ihrer Anordnung diesem Abstieg sinnvollen Ausdruck, indem sie am untern Rande der Mauer verlaufen.
In der Fusswaschung (Jo 13) verdemütigt sich der Herr in einem äussern, sehr sprechenden Tun.
Doch was die Sinne erfassen: die helfende, dienende, demütige Gebärde der Hände am Fuss des Jüngers, übersteigt unser Begreifen.
Darum die Frage: „Versteht ihr, was ich euch getan habe?“ Wir müssen langsam lernen, dass demütiger Dienst am Mitmenschen von den Knechten des Meister gefordert wird, selbst wenn dabei, wie hier, die eigenen Hände unter die Füsse des andern zu liegen kommen. Die Szene der Fusswaschung ist nur ein Ausschnitt aus dem Geschehen des Abends, „da Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen sei“ und da er den Seinigen in der Welt „seine Liebe bis zum Ende“ erwies. In derselben Stunde schenkt er ihnen seinen Leib in der Eucharistie und erklärt er sie zu seinen Freunden. Das „leinene Tuch“ am Arm des Herrn deutet hier in seiner liturgischen Farbe auf den Dienst des Priesters.
Priesterdienst hat er geleistet, und wer Gemeinschaft mit ihm haben will, muss an all dem teilnehmen, was des Herrn ist, auch an seiner bedingungslosen Erniedrigung.

Die Geisselung
„Wir sahen ihn, und es war kein Anblick, so dass wir Wohlgefallen an ihm fänden, dem Verachteten und Mindesten, dem Mann der Schmerzen.“ ls 53,2 f
Was der Evangelist in der Leidensgeschichte Jesu mit einem knappen Satz – „nachdem er ihn hatte geisseln lassen“ Mk 15,15 – meldet, wird bei Isaias nachdrücklich geschildert. Nichts wird uns, den Betrachtenden, erspart. Sein Fleisch ist eine einzige Wunde. Der Herr hat sich im Gehorsam den Schergen ausgeliefert. Er hält hin, und er hält aus. „Meinen Leib gab ich den Schlagenden hin.“ ls 50,6 Es ist sein Fleisch, menschliches Fleisch, das er um unseretwillen angenommen hat, und wie grausam wirklich die Erfahrung dieser Schmerzen sein muss, zeigt die unbarmherzige Realistik, mit der das Sonnenlicht das ursprüngliche Weiss des Körpers auf die Mauer malt: es leuchtet nämlich in geradezu naturalistisch brauner Leibesfarbe auf, um ja keinen Zweifel an der Echtheit dieses Leidens aufkommen zu lassen.
Und das Wesentlichste: sein Rücken ist unseretwegen gebeugt, für uns ist er zermalmt, die Wucht unserer Sünden lastet auf ihm. Vergleiche ls 64,7; 1 Kor 15,3. „Wahrlich, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich genommen. Und wir hielten ihn für einen Aussätzigen, einen von Gott Geschlagenen und Gebeugten. Er aber ist verwundet worden um unserer Frevel willen, zerschlagen um unserer Missetaten willen, die Züchund durch seine Wunden sind wir geheilt worden.“ ls 53,4 f
Ob wir nun im Gottesdienst singend beten: „Herzliebster Jesus, was hast du verbrochen?“ oder „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt“, immer wird uns bewusst sein, dass nur die masslose Liebe und der Gehorsam den Herrn dazu bewegen, für seine Freunde und Knechte solches auszuhalten.

Die Kreuzigung
„Und dort kreuzigten sie ihn und zwei andere mit ihm.“ Jo 19,18
Nun ist die Auslieferung endgültig: mit Nägeln ist er ans Holz geheftet, allen preisgegeben, wehrlos. Aber diese Auslieferung geschieht nicht ins Leere. Abgesehen davon, dass er sich ja dem Vater überantwortet hat, gibt er sich dem Menschen hin, dem Nächsten, dem Mitgekreuzigten. Umgekehrt stossen wir in unserem Ausgeliefertsein, in unserer äusserten Not auf die Not Jesu. Die verwundeten Glieder berühren sich fast. Aber dabei tragen wir selbst auch das Wundmal vergossenen Blutes; aushalten wie der Herr müssen wir unsern Schmerz und stillhalten in Geduld wie er. Hier wird wahr, was wir in der Liturgie beten: „Mit Christus bin ich ans Kreuz geheftet.“ Gal 2,19
In solcher Situation fällt alles ab, alles Rühmliche und Selbsterrungene: „Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.“ Gal 6,14
Die Wundmale aber bleiben. Sie gehören fortan zum verherrlichten Herrn und damit auch zum Menschen (als Miterben Christi) schlechthin.
Der Biss der Schlange ist geschehen, aber die Wunde wir über den Tod hinweggehoben und wirkt nicht mehr tödlich.
Das zeigen die beiden folgenden Fenster. Voll Zuversicht hören wir in der Osternacht die Worte: „Durch deine heiligen Wunden, leuchtend in Herrlichkeit, behüte und bewahre uns, Christus der Herr“, und wir wissen uns der Teilhabe versichert, da wir selbst verwundet sind.

Der Abstieg
„Daher heisst es: ‚Er ist in die Höhe hinaufgestiegen und hat Gefangene weggeführt, er hat den Menschen Gaben gegeben’.
Das Wort aber: ‚Er ist aufgestiegen’, was bedeutet es andres, als dass er auch hinabgestiegen ist in die Gebiete unter der Erde?
Er ist es, der hinabgestiegen und über alle Himmel hinaufgestiegen ist, um alles mit seiner Gegenwart zu erfüllen.“ Eph 4,8 – 10
Dieses Wort aus der Schrift mit dem Satz aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis „Abgestiegen zu der Hölle“ geben den Hintergrund zum Geschehnis in diesem Fenster. Dass Christus ins Reich der Schlange kommt, setzt seinen Tod voraus. Der Herr ist tot. Aber er bleibt nicht im Totenreich, und das wird deutlich im Bild. Der Fuss Christi steht auf der Schlange: obwohl vom Tode überwältigt, bleibt er frei unter den Toten und überwindet den Tod in seinem eigenen Tod. Paulus ruft aus: „Der Tod ist verschlungen in Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ 1 Kor 15,54 f
Und was für uns, die wir den Todesbiss der Schlange auch empfangen haben, von grossem Trost, ja die einzige Hoffnung ist: er, der Herr, ist mit uns in unserem Sterben und Tod, für uns hat er diese letzte, schwärzeste Nacht verkostet. Deshalb können wir im Glauben singen: „Wann ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir wann ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wann mir am allerbängsten hier um das Herz wird sein, so reiss mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein!“ (O Haupt voll Blut und Wunden / P. Gerhard)
Er reicht uns die Hand (diese offene, freundliche Gebärde sehen wir auch bei der Fusswaschung und bei der Kreuzigung) und führt uns hinaus aus dem Abgrund des Grauens. Die Postcommunio, des Festes Kreuzauffindung hat tiefsinnige Worte für diese Heilung: „Dass du von jenen, die du durch das milde Blut deines Sohnes erkauft hast, das schwarze Gift der alten Schlange abwendest und, durch den heiligen Geist, den Trank des Heiles über sie ergiessest.“ Im Blut des Herrn empfangen wir das Gegengift zum Gift der Schlange. So tief musste der Herr in seiner Erniedrigung für uns gehen, um uns darin unsere Erhöhung zu schenken.

Die Himmelfahrt
„Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz. Daher hat ihn auch Gott über die Massen erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über jedem Namen ist, damit in dem Namen Jesu sich beuge jenes Knie derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekennt, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.“ Phil 2,8 – 11
Die Erniedrigung musste der Erhöhung, die Selbstentäusserung bis in den Tod der Aufnahme in Herrlichkeit vorausgehen. Das ist der Weg des Sohnes Gottes, und das muss auch der Weg eines jeden sein, der in der Nachfolge Christi steht. Die Anordnung der Fenster zeigt den Sprung aus der Tiefe deutlich auf: während der Höllengang wie die andern Bilder der Passion am untern Mauerrand liegt, strahlt die erhobene Herrlichkeit Christi von ganz oben. Man wird an Ps 8, bzw. an Hebr 2,5 – 10 erinnert: „Den, der eine kurze Zeit unter die Engel erniedrigt worden war, Jesus, sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.“ So beinhaltet dieses Bild zugleich Auferstehung und Himmelsfahrt Jesu. Er ist die Vollendung der Passion, ja der ganzen Menschwerdung. „Ich bin auferstanden und bin noch bei dir.“ (Introitus an Ostern) „Der Herr stieg zur Höhe und führte die Gefangenen mit sich.“ (Allelujavers am Himmelfahrtstag)
Ps 18 wird einem begreiflich, der im Hymnus der Weihnachtsvesper ganz auf Christus gedeutet wird: „Vom Vater ausgegangen, zum Vater zurückgekehrt, ausgeschritten zur Hölle, heimgekommen zum Throne Gottes“ (Dominikanische Liturgie) und dies im Bild der Sonne, die „wie ein Bräutigam aus ihrer Kammer hervorgeht, freudig wie ein Held ihre Bahn läuft.“ „In Herrlichkeit“ wird der Herr erhoben. Es ist dies die letzte Epiphanie des Sohnes Gottes vor seiner Wiederkunft. So wird hier nochmals der Bogen sichtbar wie am Fest der Erscheinung, und wie jenes Fenster strahlt auch dieses den Glanz der Farben von oben aus.
Waren die Kreuzigung und die Höllenfahrt vorwiegend in Dunkel gehalten, so schimmern hier Gelb, Rot, Grün in lichtvoller Herrlichkeit. Die Fenster der Epiphanie und der Himmelfahrt stehen sich im Kirchenraum gegenüber, und so breitet sich der Reflex des Regenbogens auf der Mauer oft genau unter der Himmelfahrt aus. Wenn gar am Himmelfahrtstage beim feierlichen Gottesdienst die ganze intensive Farbenpracht der östlichen Wand in die Kirche strömt, dann begreifen wir den immer wiederkehrenden Ausdruck in den Texten des Festes: „die ganze Herrlichkeit“,
ebenso aber auch die Communio, die den Kreis von Bogen zu Bogen schliesst: „Singt dem Herrn, der aufstieg zum Aufgang – ad orientem.“
Uns aber, den Kindern dieser Erde, deren Blicken er entschwindet (ApG 1,9), bleibt die tröstliche Zuversicht, dass die Füsse des Herrn wirklich unsere Erde berührt haben (und wie oft, gegen Abend, bedeckt der Widerschein den Kirchenboden mit bunten Tupfen), ja noch mehr: dass die Wundmale mitgenommen sind als unverlierbares Angebinde der Menschheit, die nun in der Herrlichkeit ist.

Pfingsten
„Und plötzlich entstand vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein gewaltiger Wind daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, worin sie sassen. Und es erschienen Ihnen Zungen, die sich zerteilten, wie von Feuer, und es setzte sich auf jeden unter ihnen. Und wie wurden alle mit dem heiligen Geist erfüllt und fingen an, in andern Zungen zu reden, wie der Geist ihnen auszusprechen gab.“ Apg 2,2 – 4
Der Pfingstbericht, der Abschluss und die Besiegelung der Offenbarung im Fleische, erschliesst zugleich eine neue Präsenz, die des Geistes. Von nun an werden wir auf den Unsichtbaren verwiesen, „den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht erkennt“. Jo 14,17
Für die Glaubenden aber kommt er noch einmal in sichtbarer Gestalt: im Feuer. Feuer ist forderndes Element, es reisst an sich und zehrt auf. Wer in seinen Bereich kommt, wird entzündet. Bis ins Innerste wird er erfüllt von dieser gewaltigen Kraft, wie die Sequenz es in reichster Fülle ausgestaltet und wie der Allelujavers mit beschwörender Innigkeit fleht, in dem in Text und Melodie unvergleichlichen „et tui amoris in eis ignem accende – und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe“.
In sieben Zungen, d.h. in seinen sieben Gaben, kommt der heilige Geist im Bild auf uns zu, und im Sprachenwunder will er auch unsere Zunge das wahre, das geistliche Reden lehren. Er ist ja der vom Herrn gesandte Lehrer. Jo 14,26
Aber er ist auch der Beistand und der Tröster, er ist die Gabe Gottes, er ist kühlende Salbung, lebendiger Quell, Feuer und Liebe. (Hymnus „Veni Creator“) So vielfältig wie seine Gabe ist seine Gestalt.
Hier sind es die Flammenzungen. Sie ergiessen das Licht über uns, das wir in der Sequenz voll Sehnsucht erbitten: „Veni Sancte Spiritus, et emitte caelitus lucis tuae radium – Komm heiliger Geist und sende den Strahl deines Lichtes vom Himmel“ und „O lux beatissima reple cordis intima tuorum fidelium” O seliges Licht, erfülle das Innerste der Herzen deiner Gläubigen“.
Dieses Licht liegt über der Geistsendung ausgebreitet, es ist die Herrlichkeit des Vaters und des Sohnes, wie eine Communio es aufgreift. „Der Geist, der vom Vater ausgeht, er wird mich verherrlichen.“ (Pfingsdienstag)
Im Glauben an seine Verheissung erhoffen wir diese machtvolle Gegenwart des göttlichen Feuers für die ganze Welt, in der wir leben, heisst es doch: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis.“ (Introitus von Pfingsten)

Der Lebensstrom
„Und er zeigte mir einen Strom des Wassers des Lebens, klar wie Kristall, der vom Throne Gottes und des Lammes ausging. Inmitten ihrer Strasse und auf beiden Seiten des Stromes standen Bäume des Lebens, die zwölf Früchte tragen, indem sie jeden Monat ihre Frucht bringen; und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker.“ Apk 22,1 f
Vom Baum des Lebens ist wieder die Rede. (Vergleiche erstes Fenster.) Es ist aber aus dem einen Baum eine Vielheit von Bäumen geworden, deutlich sichtbar im Bild der Entfaltung der Fruchtbarkeit aus einem Stamm. Zwölf Früchte reifen je zu ihrer Zeit (das zeigen die verschieden getönten Farben), und schon verheisst die sechsfache Blüte neue Frucht. Das Vorbild dieser Stelle der Apokalypse, Ez 47,12, schimmert im Bild auf: „Ihre Fruchtbarkeit erschöpft sich nicht. In dem bestimmten Monat tragen sie frühzeitig Frucht.“
Es ist dies ein neues Bild vom Paradies: die Blüten sind entfaltet, die Frucht zum Essen bereit, im Gegensatz zum ersten Baum, dessen Frucht verschlossen im Innern liegt. Denn es heisst: „Zur Nahrung dienen ihre Früchte und ihre Blätter zur Arznei.“ Ez 47,12 Zugleich ist in dieser Fruchtbarkeit aber auch der auf Gott vertrauende Mensch selbst gemeint: „Er gleicht dem Baum, verpflanzt ans Wasser, unaufhörlich trägt er Früchte.“ Jer 17,8
Allmählich begreifen wir, dass der Strom der Ausschlaggebende ist, der Wasserbach, die Quelle. Von hier strömt das Leben. Und die Schriftstelle aus dem Neuen Bund lässt nicht die Frage offen, woher das Wasser stamme. „Vom Throne Gottes und des Lammes.“ Wir aber, die Betrachter des Wortes und des Bildes, stehen zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft des Herrn. Schon sind wir Erlöste, Frucht tragend, Heil verschenkend
(Blätter) und doch noch nicht in der Schau.
Noch steht das Bild für die Wirklichkeit, das Zeichen für die unverhüllte Schönheit (vergleiche Epiphanie), ein fas mystisches Symbol. Wir haben noch nicht die Augen, den Thron Gottes und das Lamm zu sehen. Aber wir kosten das Wasser, das von ihm ausgeht. Im Lamme werden wir zurückgenommen auf Ostern, wo wir im Taufwasser zum Leben erstanden. „Das Lebensgesetz der Kirche ist die mystische Fortsetzung des Lebens Jesu, des Geisteslebens, das aus dem Tod hervorging.
Und wie Jesus durch seinen verherrlichenden Kreuzestod als geistspendender Messias offenbar wurde, wie er als Erhöhter in der Kraft seines Todes das lebendige Wasser des Geistes ausgiesst über alles Fleisch: so ist nun auch die Kirche in der Kraft ihres immerwährenden Mitsterbens mit Christus geistvermittelnd, sie ist die grosse ‚Wasserspenderin’ der Welt, die Mutter allen Lebens. (Hugo Rahner, Symbole der Kirche, 140)
Wo aber Gott und das Lamm sind, wo das Wasser des Lebens verströmt wird, da ist auch der Geist, der Pfingstgeist.
Er kommt nicht nur im brennenden Feuer, sondern auch im kühlenden Wasser (in aestu temperies). Die Ströme des lebendigen Wassers fliessen aus jenen, die den heiligen Geist empfangen haben. Jo 7,38 f Und die Fruchtbarkeit aus dem Wasser schliesslich ist dem Geist zu verdanken.
So ist das geistige Bild unseres erlösten Lebens trotz des deutlichen Anklanges an jenes vom Paradies nicht einfach Rückkehr zum Ursprung.
Aber ebenso wenig bezeichnet es ein Ende im Sinne einer passiven Ruhe. Das Leben strömt vielmehr in ewiger Bewegung, gezeugt und getragen vom
ewig lebendigen dreifaltigen Gott.

Die Vollendung
Der Vogel, der dem Feuer entrinnt – wieder ist er nur Symbol des entscheidenden Geschehens in der letzten Läuterung und Befreiung der menschlichen Seele. Wer vermöchte es zu beschreiben, wer es darzustellen, es wäre denn im Bild? Das Psalmwort bietet Handhabe: „Denn du hast uns geprüft, o Gott, hast uns geläutert, wie man Silber läutert. Du hast uns ins Netz geraten lassen, hast drückende Last auf unsere Hüften gelegt;
du hast Menschen über unser Haupt dahinfahren lassen. Wir sind durch Feuer und Wasser gegangen, aber du hast uns herausgeführt ins Weite.“
Ps 65,10 ff
Israel singt es, im Rückblick auf den Durchgang durch das Rote Meer und die Flucht vor den Verfolgern. Gleichzeitig werden wir an Ps 124 gemahnt, wo von der Gefahr wilden Wassers die Rede ist und wo es dann wie in einem Aufatmen heisst: „Unsere Seele ist wie ein Vogel,
der dem Netze der Vogelsteller entronnen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.“
Durch Feuer und Wasser ging der Weg: an Pfingsten und Ostertaufe wird erinnert. Die Zusammenhänge sind sichtbar auch im rosa Hauch, der hinter den drei letzten Fenstern liegt wie ein geahnter Glanz des Kommenden. (Im Widerschein schimmert dieser warme Hauch oft an der Stele mit dem Tabernakel: dort, wo wir „das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ [Thomas von Aquin] haben, gegen den kalten Todeshauch der Schlange, vergleiche zweites Fenster.)
Die Fesseln des Netzes, d.i. des Todes, sind zerrissen; wir beten ja in den Kartagen zum Herrn: „Du wolltest vom Tod gefesselt werden, um uns von den Fesseln des Todes zu befreien.“ (Dominikanische Liturgie) Durch die Erlösung gelangen wir (man kann selbst die erlöste Kreatur mit einbeziehen, vergleiche Röm 8,22 f) in eine völlig neue Welt. Der Raum wird gesprengt „ins Weite“, es ist kein Von-vorne-beginnen in diesem letzten Bild des Zyklus.
Der Kopf des Vogels ist unsichtbar: sein Gesicht schaut für uns Unsichtbares: die Herrlichkeit des ewigen Gottes. 2 Kor 4,18 Denn: „Kein Auge hat es gesehen.“ 1 Kor 2,9